Colour der Gespannfahrer Bayern Gespannfahren
in China


Der Bericht von Wolfgang zeigt vielerlei: Zum ersten, dass man auch nach über 20 Jahren als Biker nicht davor sicher ist, nicht doch plötzlich Besitzer eines Dreirades zu werden, zum zeiten, dass das Dreiradfahren eh was ganz besonderes ist, und drittens bewahrheitet sich wieder mal das alte Sprichwort: "Andere Länder, andere Sitten!"


Seit Mai 1996 bin ich beruflich in China und als "alter Biker" mußte nach kurzer Zeit dann auch eine Maschine her. Die Solomaschinen hier sind alle recht mickrig mit Hubraum bestückt, das Höchste der Gefühle ist die klassische Xingfu 250, ein Jawa-Nachbau aus den 50er Jahren.

Xingfu 250 Beiwagenmaschinen dagegen haben hierzulande überwiegend 750ccm, es gibt sie in allen Varianten als Xiang Jiang, Chang Dong, Feng Tong, Chang Jiang u.s.w. mit den typischen Boxern, sowohl mit kopf- als auch seitengesteuerten Motoren. Die modernen Dinger mit den Plastikverkleidungen, großen Tanks und Sitzbänken wollten mir aber überhaupt nicht gefallen. Eines Tages dann sah ich in Luoyang eine feuerrote Chang Jiang, der Nachbau der alten Vorkriegs-BMW R71. Von da an war mir klar, dass ich nach 20 Jahren Solofahrer Gespannfahrer werde.

Chang Dong 750 (Katalogfoto)

Kurze Zeit später lernte ich Frank kennen, der eben solch ein Unikum besitzt. Der gab mir wertvolle Tips zum Kauf und zur Zulassung. Nach einigen Wochen dann fanden wir über Beziehungen ein Armeemodell, Baujahr 1992 in "fahrbereitem" Zustand, so jedenfalls lautete die Auskunft am Telefon. Nun hatten wir aber keine Zeit, extra 8 Zugstunden nach Xi’an zu fahren um das Teil anzuschauen, und so bestellten wir blind. Am nächsten Tag rief der Verkäufer wieder an und meinte, er hätte da noch so ein Gespann, in schlechtem Zustand zwar, aber der Preis sei nur umgerechnet 60.- DM, und auf dem LKW hätten eh’ beide Gespanne Platz. Es sei aber keine Chang Jiang sondern ein 750er Twin (zu dieser Maschine wird Euch Frank hoffentlich bald einen Artikel schreiben, siehe Bild ganz unten). Na ja, wer kann da schon nein sagen und nach cirka 3 weiteren Wochen kam die Gespannlieferung dann an. Die Chang Jiang sah sooooo schlecht nicht aus, aber das andere Teil war in wirklich desolatem Zustand. Sogleich rief ich Frank zur Besichtigung, und los ging’s zur ersten Probefahrt mit der "fahrbereiten" Chang Jiang: Öl nachgefüllt, Sprit rein, Vergaser getupft, Zündung an und nach dem dritten Kick lief die Kiste. Nicht sehr rund zwar, aber immerhin. Todesmutig schwang sich Frank in den grossen Schwingsattel, kuppeln, "klack", Gang rein und weg war er. Nach cirka 20 Minuten kam er zurück und schimpfte fürchterlich: Die Mühle zieht nicht die Wurst vom Brot, die Bremsen funktionieren nicht, die Räder eiern, u.s.w.
Folgende Teile mussten ersetzt bzw. instandgesetzt werden:

Die Ersatzteilversorgung für Chang Jiang bereitet in China zwar keine grossen Probleme, man muss jedoch höllisch aufpassen, dass man eine vernünftige Qualität erwischt.

Meine Chang Jiang nach einer Tour Nachdem vorgenannte Grobarbeiten getan waren und auch die amtliche Zulassung da war, wurde es Zeit für die erste Ausfahrt. Wie blöd man sich als "alter Biker" das erste mal mit einem Gespann anstellt, brauche ich an dieser Stelle wohl nicht erwähnen. An einem schönen Sonntag morgen bei ca. Null Grad ging’s zusammen mit Frank los in Richtung Luoyang. Die kleinen, kurvigen Nebenstrassen von Liao Wu über Mong Jin waren die richtige Teststrecke. Das größte Problem waren die Bremsen, die zwar eine enorme Hebelkraft verlangten, aber praktisch keine Wirkung zeigten. Unterwegs wurde zig mal angehalten, um die Vergasereinstellung zu optimieren und beide "Versager" halbwegs zu synchronisieren. Größtes Augenmerk wurde auf das Kerzenbild gelegt. Nachmittags auf dem Rückweg traute ich mir dann schon eine flottere Gangart zu, und prompt hatte ich links einen kapitalen Kolbenklemmer. Nach kurzer Wartezeit ließ sich die Maschine problemlos starten und mit verminderter Leistung ging es zurück nach Hause. Bei der Demontage zeigte sich, dass der Zylinder mit Aushohnen noch zu retten war, das Kolbenhemd jedoch war komplett angeschmolzen. Der neue Kolben schien laut Vermessung OK. Die neuen Ringe jedoch hatten zuwenig Spiel, mit ein paar Feilenstrichen war dem aber schnell abgeholfen.

Klassisches Profil der Chang Jiang, BMW-Design von 1938 Ähnlich wie in Russland gibt es auch in China verschiedene Qualitäten:
die für den lokalen Markt hergestellten Motorräder sind alles andere als zuverlässig,
Exportmodelle sind schon ein bisschen besser verarbeitet,
und die Krönung stellen die Maschinen für die Armee dar.

Diese Erfahrung mussten in den Folgemonaten leider einige meiner Kollegen machen, die mein Moped zwar ganz toll fanden, sich aber lieber für teures Geld ein neues Gespann zulegen wollten.

Gespannfahren in China ist ein Abenteuer für sich. In den ländlichen Gegenden der Provinzen Henan am Gelben Fluss und Jiangsu am Yangtse-Fluss wird man als Ausländer (Lao Wae) ohnehin immer bestaunt. Wenn man dann auch noch ein altes Armeegespann unter dem Hintern hat, sind bei längeren Ampelstops immer kleine Menschenaufläufe vorprogrammiert. Dies ist weiss Gott Gewöhnungssache. Der Verkehr ist an europäischen Maßtäben gemessen schlicht und einfach schrecklich. Alles ist ein furchtbares Durcheinander von Fahrrädern (die Mehrheit), Dreirädern mit und ohne Motor, Mopeds, Traktoren, Autos und LKW’s. Einzig und allein die schlecht zu erkennenden roten Ampeln werden strikt beachtet, sonst aber gilt "Wer hat die stärkeren Nerven".

Bei den Radlern scheint das Motto "Was ich nicht seh’, existiert auch nicht!"

Fahrrad mit Hilfsmotor fest einprogrammiert zu sein, so haben diese auch keine Hemmungen einfach wegzuschauen und die Strasse zu überqueren, obwohl ich wild hupend mit meinem Gespann andonnere. Die Fussgänger sind da nicht viel besser. Das ist leider nicht so lustig wie es sich anhört, denn jeden Tag sehe ich so um die zwei Unfälle. Meistens jedoch schiessen sich die Radfahrer gegenseitig ab und der Schaden ist recht gering. Für mich recht schwierig sind oft die Restriktionen, die für manche Strassen keine Fahrzeuge mit Kennzeichen anderer Provinzen zulassen oder die Nummern (gerade oder ungerade Zahl) den Wochentagen zuordnen. Zwar ist alles schön auf den Strassenschildern beschrieben, aber eben auf Chinesisch.

Mein Gespann Fazit: Die Chang Jiang, sofern es sich um ein Armeemodell und die 12V-Version handelt, ist ein gutmütiger, schwerfälliger Lastenesel. Wer sowohl Spass am fahren als auch an der Bastelei hat, ist mit diesem Neo-Klassiker gut bedient. Für europäische Straßen ist dieses Teil jedoch etwas zu langsam. Tipp Topp eingestellt kann man dieses Gespann samt Passagier im Boot locker auf 100 Sachen hochprügeln, auf Dauer geht dies aber auf’s Material. Hier in China, wo man ständig so zwischen 40 und 80 km/h pendelt, macht die Kiste kaum Kummer. Am Strassenrand gibt es immer kleine Werkstätten, die vollgelaufene Schwimmer, Bowdenzüge, kaputte Hupen (wichtig!) Zündspule etc. ratz fatz für ein paar Pfennige ersetzen. Einzig und allein die Belegung der Dosendeckelbremsen macht etwas Kopfzerbrechen, denn man muss sehr weiche Beläge verwenden, um halbwegs akzeptable Verzögerungswerte zu erzielen. Diese müssen dann eben nach längeren Passfahrten ausgewechselt werden. Frank's Donghai nach der Restauration Folgender Tip noch an alle Ural-, Dnepr- und Chang Jiang-Schrauber: Das Buch "Besser Machen, Arbeiten an Motorrädern", von Carl Hertweck, Reprint von 1959, Motor-Buch-Verlag, ISBN 3-613-01359-2 leistete mir beim Aufbau und der Wartung des Motorrades sehr große Dienste. Es liest sich beim ersten Mal sehr unterhaltsam und ist trotzdem ein unverzichtbares Nachschlagewerk für alle Reparaturarbeiten an solchen Klassikern.


Wuxi, Volksrepublik China, 5. September 1999, Wolfgang

Drei Nummernschilder?


Man beachte das kleine schwarze Kennzeichen über dem gelben hinten. Das Zusatzkennzeichen ist für die Innenstadt von Wuxi erforderlich und nur mit "guten Beziehungen zum Polizeichef" zu bekommen.

Unliebsamer Besuch


Gehäutet!!


Neulich hatte Wolfgang sogar diesen unliebsamen Besuch in der Garage. Der Schlange gefiel es auf dem Motorrad so gut, dass sie sich sogar dort häutete, wie auf dem unteren Bild zu sehen ist!