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Erlebnisse mit der
Donghai SM 750 |
Um genauer zu sein: Ende 1997 irgendwo im chinesischen Hinterland weit ab von allen Hauptstraßen, etwa 100 km von der Dammbaustelle Xiaolangdi entfernt (die liegt knapp 1.000 km von Peking entfernt in süd-südwestlicher Richtung). Am Ortsausgang eines kleinen Kaffs stand ein dunkles, unscheinbares Haus, das durch Öllachen und einen Berg von Schrott nebenan unschwer als Motorradwerkstatt zu erkennen war. Und was lag davor? Ein sonderbares Gespann. Erst war ich daran vorbeigefahren, aber dann zog die Neugierde alle Bremsen: Das war doch nichts normal Chinesisches, klein und häßlich, nein, das war gross und hatte doch einen richtigen Motor! Also habe ich erstmal das Gefaehrt untersucht:
Insgesamt war der Zustand sehr trostlos: Platte Reifen, alles häßlich mit Blau und Militär-Grün angestrichen, teilweise rostig, Moos in der Zündung, es regnete in Benzin- und Öltank und eine Zündkerzenöffnung, der Motor drehte sich nicht mehr, alle Instrumente waren zerschlagen, die Sitzbank fehlte ganz, und im Beiwagen wucherte Gras, weil der Boden schon rausgerostet war. So musste das Gespann schon einige Jahre verbracht haben! Da sich inzwischen schon eine Menschentraube um meine Chang Jiang versammelt hatte, machte ich nur noch schnell ein paar Fotos und suchte dann das Weite. Ich muss gestehen, dass ich aber den Rest des Tages das Bild dieses wunderschönen Motors vor Augen hatte.
Minuten später sah ich das zweite Mal in meinem Leben eine Donghai. Armeegrün. Und gar nicht so übel zugerichtet wie die Erste. Zwar war alles total speckig und verölt, alle Aluminiumteile vom langen Stehen stark oxidiert, die Auspuffanlage verbeult und rostig, der Seitendeckel fehlte, aber ansonsten komplett, und der Motor drehte mit guter Kompression. Auf dem Typenschild war etwas von 746 ccm und 400 kg zu lesen, alles andere war Chinesisch. Der Tacho zeigte 22.450 km an.
Am liebsten hätte ich sofort die Latzhose angezogen, die Donghai geholt und angefangen, sie zu zerlegen. Dem Wolfgang das Gespann abschwatzen ist bestimmt nicht so schwierig, aber was dann? Nur etwas reparieren und dann auf der Baustelle herumfahren wäre vielleicht möglich, aber ist nicht in meinem Sinn. So ein seltenes, interessantes Motorrad muss einfach vernünftig restauriert werden, und nicht nur irgendwie, sondern so gut es geht und in möglichst originalen Zustand! Aber wie sieht der aus? Woher Teile nehmen? Unterlagen? Platz zum Arbeiten? Von der dafür
notwendigen Zeit ganz zu schweigen. Und warum stand das Ding überhaupt solange? Da muss
doch noch was kaputt sein, sonst hätten die Chinesen es doch länger benutzt!
Kurz darauf hat mein Vater in Deutschland ein paar Unterlagen und auch einen englischsprachigen Farbprospekt gefunden. Aus den technischen Daten und Masszeichnungen war zu entnehmen, dass der Motor 33 PS bei 5000 U/min leisten soll und bei 3800 U/min 5 mkg (49 Nm) abgibt. Das Leergewicht wird mit 400 kg und die Zuladung mit 300 kg angegeben. Der Motor alleine wiegt 78 kg. Die Höchstgeschwindigkeit soll mit Seitenwagen zwischen 95 und 119 km/h liegen, solo werden 145 km/h angegeben.
Also, was macht man in der Not, wenn man keine Neuteile findet und auch keine Unterlagen hat? Ist doch klar, sich noch ein solches Vehikel holen, und aus zwei Kranken ein Heiles machen!
Besitzer will nicht verkaufen, verhandle weiter." Kurz nach Mitternacht kommt er endlich nach Hause, mit den traurigen Überresten der Donghai auf der Ladefläche. Die Nachtschichtarbeiter, die beim Abladen halfen, haben sich kaputtgelacht
und mich für verrückt erklärt!
Danach fing ich an, alle Blechteile zu schleifen und zu richten, wobei unter der dicken grünen
Farbe kaum Beulen oder Rost in Erscheinung traten. Der Öltank hatte einige Haarrisse, die
ich mit Hartlot verschlossen habe. Den Rahmen habe ich metallisch blank geschliffen,
ordentlich grundiert, wieder geschliffen und anschliessend glänzend schwarz lackiert. Das
einzige Teil, das so angerostet war, dass sich Sandstrahlen lohnte, war der Boden des
Seitenwagenbootes. Hier habe ich aber wirklich nur den Boden gestrahlt, da ich
befürchtete, dass sich die grosse, gewölbte Oberseite vielleicht verformt. Sofort nach
dem Strahlen habe ich das Boot grundiert und die Falzen mit Rostschutzfarbe von Hand
versiegelt.
Der Motor der Donghai ist ein Viertakt-Zweizylinder mit 750 ccm Hubraum (78mm Bohrung und Hub). Es ist ein Gleichläufer, beide Kolben bewegen sich gleichzeitig in gleicher Richtung auf und ab. Der Verbrennungsraum ist halbkugelförmig, die zwei Ventile pro Zylinder hängen im 72-Grad-Winkel im Zylinderkopf. Zwei Nockenwellen werden von Zahnrädern angetrieben und sind im oberen Teil des Kurbelgehäuses gelagert. Über Aluminium-Stosstangen und Kipphebel werden die Ventile betätigt. Die Kurbelwelle ist sehr kurz und steif, sie treibt auf der rechten Seite die Nockenwellen und die Lichtmaschine an. Auf der linken Seite wird das Drehmoment über Zahnräder auf die Kupplung geleitet. Die Kurbelwelle ist links in einem einreihigen Kugellager und rechts in Gleitlagerschalen gelagert. Die Pleuel sind ebenfalls gleitgelagert. Die Schmierung wird von einer doppeltwirkenden Kolbenpumpe sichergestellt, die über einen Exzenter von der
hinteren Nockenwelle angetrieben wird. Diese Pumpe saugt Öl aus dem Sumpf durch ein Sieb
an und drückt es zu allen Schmierstellen, unter anderem durch die hohlgebohrte Kurbelwelle zu den Pleuellagern. Der Öltank ist über flexible Schläuche mit dem Motorgehäuse verbunden. Im Öltank befindet sich ein Filter und auch ein Öldruckschalter für den Ölrückstrom, der mit einer Kontrollampe im Lampengehäuse verbunden ist.
Das Getriebe und der Hinterradantrieb:
Nachdem der Motor komplett mit Kupplung, Getriebe, Vergaser und Zündung montiert war, konnte er als Einheit in den neu lackierten Rahmen gehoben werden. Dabei war die Befestigung mit Motorhalteblechen vorne, langen Stehbolzen und Distanzhülsen hinter dem Getriebe und Streben vom Zylinderkopf zu dem oberen Rahmenrohr zwar aufwendig, aber auch sehr effektiv. Der bereits montierte breite Hauptständer zusammen mit einem Holzklotz dienten als sichere Abstützung. Dann kam die Hinterradschwinge an die Reihe, zusammen mit den beiden Federbeinen. Als nächstes kam der
Lenkkopf mit der Gabel dran, dann die Vorderradbremse mit Steckachse, um die Gabel zu justieren. Jetzt war es auch schon an der Zeit, die ersten Teile des Kabelbaumes zu verlegen, zusammen mit dem Scheinwerfergehäuse.
Die Polsterung des Seitenwagens habe ich neu beziehen lassen, in der Seitenverkleidung habe
ich eine Kartentasche einnähen lassen. Bald darauf ging es an die Feineinstellung von Vergaser, Zündung, Kupplung und Bremsen, und dann ging es auch schon auf die erste Fahrt auf drei Rädern. Dabei stellte sich dann heraus, dass ich den Unterbrecherabstand immer wieder nachstellen musste, weil sich das Kunststoffklötzchen, welches auf dem Unterbrechernocken schleift, sehr schnell abnutzt. Also habe ich mir bei einem Bekannten Teflon (PTFE) besorgt, der es passend gefeilt und eingenietet hat. Danach war Ruhe, die Zündung blieb unverändert.
Nach einigen kurzen Fahrten rund um die Baustelle kam schon bald ein freier Sonntag mit Sonnenschein, mir juckte es in den Fingern, die Donghai weiter einzufahren, und meine Frau und eine Bekannte wollten gerne mitfahren. Herrlich! "Wo soll es hingehen?" - "Ja", sagten die Frauen, "da ist so ein schöner Platz nicht weit von hier, da können wir grillen." Super, dachte ich mir, kühles und trockenes Wetter, genau richtig, um den neuen Motor nicht zu überhitzen.
Schnell das Werkzeug, unseren Benzinkocher, Besteck, Pfanne, Kartoffelsalat, Würste und
Steaks eingepackt, und ab ging es!
Wir fuhren durch ein großes Eingangsportal direkt auf die Staumauer. Am anderen Ende fanden wir ein ruhiges Plätzchen, wo die Frauen kochen konnten, und ich habe die inzwischen eingeschliffenene Bremsen nachgestellt. Bei dem anschließenden Essen kam sogar so etwas wie Romantik auf, mit der untergehenden Sonne, die sich im Stausee spiegelte, der langsam abkühlenden Donghai davor, unserem "Grillplatz" neben Bäumen und dem guten Geruch des Essens in der Luft.