Colour der Gespannfahrer Bayern Ein Aquarium im
Seitenwagen


Der folgende Artikel von Nikola Kalenda erschien am Wochenende 10./11. Februar 2001 im Lokalteil des Münchener Merkurs

Leider war die Redaktion nicht in der Lage, die von der Zeitung gemachten Bilder in ausreichender Qualität zur Verfügung zu stellen, so dass die Bilder, die nicht von uns zur Verfügung gestellt wurden, aus der Zeitung gescannt werden mussten. Die Qualität ist entsprechend schlecht.

Ein Aquarium im Seitenwagen

Die Gespannfahrer Bayern treffen sich in Neuried

Aufnäher, die Geschichten erzählen: Michael Osinskis Jacke.

Michael Osinski fährt bei jedem Wetter mit seinem BMW-Gespann. Die Kaffeetasse ist immer dabei.

Michael Kosowsky und seine Kinder auf
der umgebauten MZ TS 250.

Richard Weikert trennte sich aus Zeitmangel von seinem BMW-Enduro-Fernreisegespann. Fotos von ihr hat er zur Erinnerung aufbewahrt.

Gespann-Liebhaber: der Neurieder Stammtisch.

Werner Wittmann fährt den russischen Nachbau einer BMW-Maschine aus den 30er Jahren. Seine DNEPR MT 11 stammt von 1993.


Neuried (nik) - Als Richard Weikert (36) sich selbstständig machte, hatte er keine Zeit mehr, sein Motorrad mit Seitenwagen aus der Garage zu holen. "Zwei, drei Jahre bin ich nicht mehr gefahren. Dann habe ich es verkauft", sagt er. Weil er die Maschine vermisst, kommt er zum Stammtsich der Gespannfahrer Bayerns, alle zwei Wochen dienstags im Neurieder Gasthof Lorber. Um über das Fahrgefühl zu reden, das er vermisst.
Liebhaber aus ganz Bayern treffen sich seit 1998 in der Wirtsstube. Damals gab Michael Osinski, "Bonsai" genannt, seine Kneipe in Haidhausen auf, wo sich die Gespannfahrer bis dato versammelt hatten. Man hielt Ausschau nach einem neuen Domizil. Gemütliche Atmosphäre, ordentliches Essen und ein Parkplatz, auf dem viele Gespanne Platz haben, waren die Suchkriterien.
Der Stammtsich wurde in Neuried fündig. Zumindest für Eva Wilsing verkürzte sich der Weg. Die Gautingerin ist die einzige regelmäßige Besucherin aus dem Würmtal. Sie fährt zur Zeit Solomotorrad. "Aber ich will mir wieder ein Gespann kaufen", sagt sie. Schäferhündin Laura und Huskymischling Balu sollen, mit Motorradbrillen ausgerüstet, wieder mitkommen.
Die Neurieder Gespannfahrer sind zwischen 30 und 70 Jahre alt, Handwerker, Akademiker und Selbstständige. Sie haben umgebaute Motorräder, Oldtimer wie eine BMW R 71, Baujahr 1938, oder Maschinen wie die DNEPR MT 11, Baujahr 1993, der russische Nachbau einer BMW-Maschine aus den 30er Jahren.
Für manche ist es mehr als ein Hobby: Michael Osinski trennte sich von seinem Solomotorrad. Auto fährt er nicht. Seine 14 Jahre alte Lederjacke ist übersät mit Erinnerungen an Bikertreffen. "Auf jedes Loch kommt ein neuer Aufnäher", sagt er. An einer Schulterlasche hängt eine Metalltasse - griffbereit für Kaffee.

Stammtisch mit Homepage
Die Gespannfahrer Bayern sind auch im Internet vertreten. Unter www.gespannfahrer.purespace.de (Anmerkung des Homepageerstellers: Dies ist die alte Adresse der Homepage gewesen) findet man Informationen zu Motorrädern mit Seitenwagen, dem Stammtisch, eine Wegbeschreibung zum Gasthof Lorber und jede Menge Fotos von Original-Gespannen und umgebauten Motorrädern, Buchtipps und Hilfestellungen bei Problemen wie Abgase im Seitenwagen. Die Homepage existiert seit zwei Jahren. Täglich gehen 40 E-mails ein. 17.000 Mal wurde die Seite inzwischen aufgerufen. 20.000 Gespanne gibt es in Deutschland.

"Sinn und Zweck dieses Haufens ist, dass Gleichgesinnte Tipps und Erfahrungen austauschen", sagt Michael Kosowsky. Er ist wie Osinski einer der Harten: Kommt immer mit seiner MZ TS 250, Baujahr 1974, auch wenn der Schnee liegt.
Kosowsky baute die Maschine um. Das DDR-Fabrikat bekam 24 statt der ursprünglichen 17 PS und 300 Kubikzentimeter Hubraum statt 250, eine andere Lichtmaschine und neue Reifen. Hinten ist ein Vorderreifen vom Smart montiert. "Breitere Fläche, bessere Haftung und hält um ein Vielfaches länger", sagt er. Die Änderungen sind vom TÜV genehmigt, auch der Umbau des Seitenwagens. Zwei seiner vier Kinder können darin jetzt mitfahren. " 'Papa, abheben', sagen sie am liebsten."
Renngespanne haben den Seitenwagen klassisch links, straßentaugliche Fahrzeuge rechts. "Gespanne ähneln von der Fahrphysik her einem Auto, weil sie zweispurig sind", sagt Kosowsky. Wer das Fahren auf dem Solomotorrad gewohnt sei, tue sich anfangs schwer, mit einem Gespann zurechtzukommen. "Da kann man sich in die Kurve legen, und es passiert gar nichts", sagt Kosowsky.
Er selbst fuhr früher nur Solomotorrad. "Bei den Treffen habe ich Leute mit Gespann gesehen. Die hatten sogar Campingstühle dabei. Und ich musste mir überlegen, ob ich noch eine Jeans mitnehme." Er kaufte sich eine MZ, anfangs nutze er den Seitenwagen als Stauraum, zum Beispiel für den Transport eines 120-Liter-Aquariums mit Fischen. Andere montieren ihren Skiträger drauf. Osinski nimmt auch mal Regale im Seitenwagen mit.
Sie alle haben Leute gesehen, die noch einfallsreicher waren: Der eine hatte einen Bulldog-Sitz im Seitenwagen montiert. Das andere Gespann brachte den Sarg eines Bikers zum Friedhof. Es war sein letzter Wunsch gewesen.
Gespannfahren ist ein gemütliches Fahren. Und kommunikativ: "Jemand sieht das Gespann und erinnert sich, dass er in den 50er Jahren das gleiche hatte", erzählt Kosowsky. Der Stammtisch lebt ebenfalls von der Gemütlichkeit. Es gibt weder Vereinssatzung noch Präsidenten.
"Es gibt den Spruch, das Gespannfahren vereinigt die Nachteile es Autofahrens mit denen des Motorradfahrens. Man kann im Stau nicht drängeln und wird bei regen nass", sagt Kosowsky. Er und Osinski sehen es positiver: "Es vereinigt auch die Vorteile: frische Luft, das Motorrad-Feeling und die Möglichkeit, etwas zu transportieren." Zum Beispiel Kinder, Hunde oder Fische.