Colour der Gespannfahrer Als ich lernte,
die Bombe zu lieben


Assoziationen zu einer etwas anderen Pilgerfahrt mit einem Enfield-Bullet-Gespann nach Santiago de Compostela und ihr explosives Ende. Eine Geschichte von Herbert Hartum.



Die Einladung meines Freundes in sein Ferienhaus bei Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens nahm ich gerne an. War es doch eine gute Gelegenheit, die Zuverlässigkeit meines Gespanns unter der Beweis zu stellen, das mit tatkräftiger Unterstützung von Werner Gottstein mit einem etwas ungewöhnlichen Beiwagen versehen wurde, einer ehemaligen amerikanischen Bombe,, die vom schwäbischen Künstler Hartmut Bubenzer zum Seitenwagen-Korpus umgestaltet wurde.

Meine Enfield India Bullet 500 sieht damit etwas schneller aus als sie tatsächlich ist, läßt sich aber Dank Wener Gottsteins Einstellarbeiten wunderbar fahren. Eine Spurbreite von nur 104 cm und das geringe Gewicht von unter 240 kg erfordern jedoch fleissiges Turnen, besonders wenn sich nur etwas Campingausrüstung anstelle eines Passagiers im Boot befindet und besonders in Linkskurven, da der Beiwagen auf meinen ausdrücklichen Wunsch links angebaut werden sollte.


Kurz vor der Abfahrt

Die im normalen Fahrbetrieb von mir gerne praktizierte "Beinchen-hoch-Akrobatik" sowie das etwas unortodoxe Erscheinungsbild von Gespann und Fahrer provozierte von Anfang an die unterschiedlichsten Reaktionen: Von überaus positiver Anteilnahme bis zur stummen Verblüffung ging die Bandbreite, aber auch manchmal zu saftigen Kommentaren wie zum Beispiel:
"Was ist denn das für ein Vogel?"

Kein schlechter Vergleich, fand ich und beschloß, diesen Kommentar meiner aerodynamischen Gespannkreation zuzuschreiben und nicht dem Piloten.
Nun - das Leben der Vögel hat seine Jahreszeiten. Eines Tages, ehe noch der Herbst die Blätter färbt, erfaßt sie die Unruhe, aufzubrechen. Im Dasein des menschen geht es ähnlich zu. Eines Tages bricht er auf. Irgendwohin. Zu einer Völkerwanderung, auf Pilgerfahrt, in den Krieg. Anlässe finden sich immer. Die Ursachen, die in einem Höheren Sinn stets Vorwände bleiben, sind graduell sehr verschieden.

Bei der Routenplanung wurde ich zwangsläufig mit dem Pilgerweg konfrontiert und es machte Spaß, sich mit dem Gedanken des Pilgerns auseinanderzusetzen:
Die Einsicht, dass echtes Reisen in einem übertragenen Sinn immer den Charakter einer Pilgerfahrt besitzt, besonders wenn man sich bewusst Zeit dazu nimmt und den Weg als Ziel betrachtet.

Santiago de Compostela - warum wandert man heute noch bis ans Ende des westlichen Europas?
Was gibt es am Ende der mittelalterlichen Welt im fernen Galicia zu suchen?
In erster Linie galt es, sein Leben daran zu setzen, dagewesen zu sein, am Grab des Apostels. Im Bannkreis des Glaubens wurden für heutige Begriffe unermessliche Strapazen auf sich genommen, den Weg von der französisch-spanischen Grenze in vier Wochen zurückzulegen. Viele aus allen möglichen Ländern waren darüber hinaus noch viele Wochen länger unterwegs. In ihrem ungeheueren Aufwand glich diese Reise einer radikalen Amputation von allen Gewohnheite. Dabei wurde das ICH, das heute vermeintlich kostbarste Besitztum unserer Individualgesellschaft, durch die Strapazen und Risiken völlig ausgeleert. Dann erst begann die Seele sich mit der Gottheit zu füllen. Ein Pilger, das war ein Einsiedler, der auch das Letzte, den Winkel, die Höhle, die Heimstatt verloren hatte und sich schutzlos in den Wind warf wie ein Herbstblatt. Sie zogen in Gemeinschaften, auch aus unterschiedlichen europäischen Ländern, waren teilweise zufällig zusammengewürfelt Reisegruppen. Doch war jeder für sich, mußte jeder durch sein persönliches Fegefeuer.

Wie sehr mich diese philosophischen Betrachtungen auf meiner langen einsamen Fahrt über 2.400 Kilometer in fünf Tagen begleiteten, so hätte ich doch nie gedacht, daß ich mein persönliche "Fegefeuer" erst nach Ankunft im sonnigen Galizien erleben sollte.

Die Anreise verlief, wenn auch sehr anstrengend, ohne technischen Probleme. Meine Rout führte über den Schwarzwald, das französische Jura, das Zentralmassiv, die Biskaya, entlang der spanischen Atlantikküste über San Sebastian, Santander, Gijon nach Santiago de Compostela und von dort in das kleine Küstendorf Abelleira bei Muros. Die dortige Küste "Rias Baixas" ist die sonnigste des nördlichen spanischen Küstengebietes. Besonders während der Sommermonate gibt es zahlreiche Feste kirchlichen und profanen Ursprungs wie zum Beispiel die Maifeste, wo man den Frühling feiert, die Blumenteppiche zu Fronleichnam, Feste des Käses oder der Meeresfrüchte. Jede festivität wird von lauten Böllerschüssen und Blasmusik begleitet - auch mitten in der Nacht, denn für den Spanier beginnt der Abend eigentlich erst nch Mitternacht.

Dem kann man sich als "pilgernder" Motorradfahrer nicht entziehen und versucht lieber erst garnicht vor 3 Uhr morgens Schlaf zu finden. Also noch einen "Osborne" bei "Manolo". Der Wirt der kleinen Dorfkneipe hat bei einem Autounfall beide Beine und einen Arm veloren, betreibt seine Kneipe aber nach wie vor, indem er auf einem normalen (!) Stuhl sitzend mit diesem akrobatisch hinter der Theke herumhüpft und mit einem Arm die Tätigkeiten eines Barkeepers verrichtet. Darüber hinaus laufen alle Informationen des Dorfes übe seine Kneipe. Auch, daß ein Gespannfahrer aus Alemania im Dorf ist hat sich schon herumgesprochen.

Leider habe ich die Kommentare bei der folgenden Präsentation des Gespannes nicht alle verstanden; man fragte sich, ob der Commandante chauffiert wird oder ob die "Rakete" noch einen Treibsatz hat zur besseeren Beschleunigung. Die Gattung Motorradgespann ist in Spanien sehr selten, besonders im Norden, wohin sich kaum ein ausländischer Tourist verirrt, wenn man vom Pilgerort Santiago einmal absieht.

Überall beim Vorbeifahren winken die Leute am Starßenrand, jubeln einem zu oder lassen die Arbeit stehen und schauen einem ziemlich verdutzt nach. es ist eine wahre freude, den Lenker wie den Stier bei den Hörnern zu packen und in schnellen Kurvenkombinationen das Gewicht zu velagern, auch wenn man gegen die vierrädrigen Lokalmatadoren im Seat keine Chance hat. Ich freute mich über die Begeisterung der stierkampfgeschulten Bevölkerung und fühlte mich immer ein bißchen wie "El Torero". Bei jedem Stop gab es dann wieder einen Menschenauflauf und fachmännische Kommentare. Na ja, pilgern kann man das wohl nicht nennen.

Also wieder hinein in den Sattel und weiter im einsamen Kampf gegen langatmige Steigungen mit viel gegenwind - 90 Grad Öltemperatur - runter in den Dritten, au weia, schon wieder eine Kurve, die sich verjüngt - zweiter Gang - alles gwicht auf die Backbordseite - tuut - tuut - tuut. Die vierköpfige Besatzung im Seat Ibiza grinst beim Überholen bis über beide Ohren - alle Daumen rauf! Beim Zurückwinken hatte ich doch glatt eine Bodenwelle übersehen, die mich fast aus der Bahn katapultiert hätte ... Also wieder etwas mehr Demut, schließlich befinden wir uns auf "Pilgerfahrt".

Auf der Rückfahrt sollte es durch das Landesinnere gehen, auf der klassischen Pilgerroute über Leon, Burgos, Pamplona. Doch dazu kam es nicht.

Beim morgendlichen Start der Maschine gab es eine Fehlzündung, die in den Vergaser zurückschlug und ihn sofort in Brand setzte. Vollgetankt für die Rückfahrt musste ich mit zwei zu Hilfe geeilten Spaniern fassungslos zusehen, wie 15 Liter Sprit meine Maschine abfackelten.


Nach dem Brand

Feuerlöscher war keiner zur Hand und auch ein nasser Teppich half nicht, die 5 Meter hohen Flammen zu ersticken. Der Druck im Tank war so groß, daß eine Fontäne brennenden Benzins auf die Straße spritzte. Zum Glück ist niemandem etwas passiert!

Auf dem Rückflug, den der ADAC in schneller und kompetenter Hilfe organisierte, reifte der Entschluß:
Natürlich wird sie wieder aufgebaut - für die nächste Pilgerfahrt!


Nun steht sie wieder in altem Glanze!