Colour der Gespannfahrer Bayern Oh Gott,
diese Russen!
Alexander Stiller, ein treuer Besucher unseres Stammtisches, hat so seine eigenen Erlebnisse mit russischen Gespannen verschiedener Hersteller gemacht. Eine Erklärung, die zum Verständnis des Textes wichtig ist: Die russischen Gespannhersteller (u.a. Ural und Dnepr) stellen Motorräder und Gespanne in verschiedenen Qualitäten her. Dabei handelt es sich aber nicht wie bei anderen Herstellern nur um Ausstattungsvarianten, sondern es gibt echte Qualtitätsunterschiede, und zwar erhebliche.
So ist es nicht nur das fehlende Chrom oder vielleicht der fehlende Drehzahlmesser, der ein sogenanntes "Inlandsmodell" billiger macht gegenüber einem "Exportmodell". Die Inlandsmodelle sind wirklich nur für den russischen Markt oder den Markt der ehemaligen UdSSR bestimmt (und auch früher gewesen). Sie sollten nicht in den "verwöhnten" europäischen Markt exportiert werden.
Und hier nun der Bericht von einem, der auf russischen Gespannen auszog, das Fürchten zu lernen:



Um es vorweg zu nehmen, Horror hat einen Namen! Es ist der Name der russischen Motorradgespanne Dnepr bzw. Ural und der chinesischen Pendants Jangtse 750, Chang Ijang oder Dong-Hai. Ich schildere Euch meinen Leidensweg, damit andere, die der Optik und dem anfänglich gar so günstigen Preis vielleicht auch einmal auf "den Leim" gehen, sich vielleicht doch noch für irgendetwas anderes als ein Russengespann entscheiden - und damit einen folgenschweren Fehler vermeiden.

Es begann 1994/95. Ich wollte etwas interessantes, spektakuläres fahren. Ein Oldie, etwas mit Seitenwagen. Es kursierten Gerüchte von russischen Nachbauten des legendären Kriegs-BMW-Gespanns, nur viel billiger. Das war's genau, was ich brauchte. Aber niemand wußte etwas von den sagenumwobenen Dingern. Da geschah das Unfassbare - mitten in München auf dem Mittleren Ring. Ein Gerät wie aus dem 2. Weltkrieg und auch wie eine BMW, nur mit deutlich anderen Ventildeckeln. Ich verfolgte das Unding und lernte Christian kennen. Er war ganz begeistert von seiner 2 Jahre alten Maschine und er hatte Russen-Händleradressen im Raum München für mich.

Der Besuch beim Münchner Dnepr-Händler war aufregend. Gebraucht war nur ein Gespann da, 1 Jahr alt, himmelblau, vergammelt und schon halb ausgeschlachtet, aber für 2.500,- DM wurde es meins. Die Abholung wurde für mich als ungeübten Solo- oder gar Gespannfahrer zu einer Nervenprobe. Zum Üben gab es keinen Platz, und der Verkehr wollte auch nicht abflauen. Also Motor warmlaufen lassen, Lücke abwarten, Gas und Kupplung und rein ins blühende Leben. Nach ein paar Schlenkerern war ich in der Spur. Und tatsächlich - die nun folgenden Tage sollten für die nächsten Jahre die schönsten werden. In dieser Zeit wurde ich natürlich oft angesprochen. Stolz erklärte ich den Fragestellern die Geschichte der russischen Motorradproduktion, wo noch alles grundsolide und einfach - eben unverwüstlich sei. So bin ich mit schuldig an den nie endenden Legenden von der Kalaschnikow, die auch im Dreck noch schießt, dem berühmten Panzer T34 und den russischen Qualtitätsgespannen. In dieser Zeit hat man mir auch verraten, dass es in München einen speziellen Gespannfahrerstammtisch gibt mit lauter Verrückten. Für alle, die es interressiert - es ist der Stammtisch, der diese Homepage betreibt.

Das himmelblaue Problem!


Der Stammtisch war ein Hit! Die meisten fuhren damals ebenfalls einen Russen, weil's ja so billig ist. Dann gab es natürlich auch noch MZ´s und die originalen BWM's, die Könige unter den Sterblichen. Einer von diesen Königen war ein gewisser Werner Gottstein mit einem Rauschebart wie ein Ersatz-Christus. Gottstein ist Gespannbauer - ich hatte keine Ahnung, dass es so eine verrückte Innung überhaupt gibt. Braucht´s als Russentreiber ja auch nicht, dachte ich mir...

Aber dann holte mich auch schon die grausame Wirklichkeit ein. Bei Geschwindigkeiten von über 65 km/h fiel mir auf, dass die Räder sehr unrund liefen und dass der zweite Gang immer öfter heraussprang. Räder mit Radielli-Felgen kosteten 500,- DM je Rad und die Getriebeüberholung kostete mit Aus- und Einbau 800,- DM. Die Schaltklauen des zweiten Ganges waren völlig abgenutzt - ja richtig - abgenutzt! Und das nach noch nicht einmal 3.000 Kilometern. Bald konnte ich wieder mit meinem Gespann fahren. Das Ding lief wie ein Rolls-Royce. Ein edler Rundlauf ohne Hoppeln. Am Gespannfahrer-Stammtisch bemerkte ich, dass sich die Japaner, Guzzisten, MZ-ler und BMW-Fahrer hauptsächlich mit der Planung von Touren befaßten, während die Russengespannfahrer sich mehr mit der Technik befaßten. Bei den Russenfahrern gab es die Urals und die Dneprs. Die Dneprfahrer waren die Kleinlautesten von allen, denn bei ihnen gab es eigentlich fast immer irgendwelche technischen Katastrophen zu berichten.

Mich sollte es dann auch bald wieder erwischen. Bei einem Hinterachsölwechsel plumpste eine sogennante "Nadel" - ein Teil des hinteren Rollenlagers - in die Ölauffangwanne. Eine komplett neue Hinterachse kostete nur 500,- DM in Exportqualität. Der elektronische Regler fiel aus und schlug mit 75,- DM zu Buche. Dazwischen hielt mich meine Dnepr mit verlorenen Schrauben, Muttern und Kleinteilen bei Laune. Der TÜV verlangte ein neues Lenkkopflager sowie neue Bowdenzüge. So gingen sie dahin, die Wochen. Mal brach der Schwingsattel durch wegen eines unglaublichen Verarbeitungsfehlers, mal mußte der Auspuff wieder zusammengesucht werden, wobei sich herausstellte, dass ein paar Passringe fehlten, mal hatte ich Reifenpannen - eine Spezialität der Dnepr, weil sich der Mantel auf der Felge verdreht. Meine berühmteste Reifenpanne ereignete sich auf der Salzburger Autobahn. Ich fuhr fröhlich vor mich hin, als mein Heck zu tanzen begann. Sowas hatte ich noch nicht gesehen: 15 Speichen abgerissen. Alles kein Problem - wir haben ja einen Reservereifen - wir tollen Russenfahrer! Schnell das Gespann auf den Hauptständer gewuchtet, jedoch - oh Schreck - der Hauptständer knickte einfach nach vorne durch, bis der Hinterreifen wieder auf dem Boden stand. "Guter Rad teuer!" Die Lösung: Gespann auf dem oberen Totpunkt des butterweichen Hauptständers ausbalancieren, Vorderradbremse blockieren und dann das Hinterrad ganz vorsichtig austauschen. Weiter ging die wilde Hatz. Zwei Kilometer weiter jedoch - oh Schreck - Plattfuß! Zwei Tage war ich beschäftigt (übrigens, bei dem Reserverad hatten die Russen das Felgenband einfach weggelassen, so dass die Speichenenden den Schlauch aufschlitzen mußten), dann war ich wieder im "Rennen".

Immerhin habe ich mich mit der Taigaschüssel noch ein Jahr herumgequält. Ich habe den Tacho fast bis zur 10.000-Kilometer-Grenze getrieben, dann habe ich das Teufelsding verschenkt. Der so Beglückte fuhr das Gerät mit kleineren Schäden noch bis zum Stand von 12.000 Km. Ende 1998 starb der Motor während einer gemeinsamen Ausfahrt. Die Spezialisten sind sich jedoch einig: 12.000 Kilometer sind ganz beachtlich für einen Dnepr-Inlandsmotor.

Dem Rat der Spezialisten folgend habe ich mich entschlossen, nunmehr ein Exportmodell aus der Produktion vor Glasnost anzuschaffen. Eine M12 mit Seitenwagenantrieb. Die Maschine, die mir über den Weg lief, war wunderschön, Baujahr 1985. Der berühmte seitengesteuerte Motor mit 24PS bei 750 ccm schien unverwüstlich. Mein Optimismus wurde bereits beim Heimholen des Gespanns im Frühjahr 1998 gedämpft. Hinter mir war alles in undurchdringlichen blauen Nebel gehüllt. Ich mußte folgende Teile erneuern: Beide Kolben und Zylinder, links den Kolbenbolzen mit -buchse. Kein Problem. Danach war die Freude wieder nur von kurzer Dauer. Die Kupplung begann zu rupfen und Öl trat zwischen Motor und Getriebe aus. Außerdem gab es mit der 6-Volt-Anlage immer wieder Ärger. Der permanente Ausfall der Lichtmaschine trotz neuer Kohlen, neuem Regler und schließlich neuer Lichtmaschine wurde mir dann irgendwann zu dumm. Die Lichtmaschinen wurden zerlegt und der Kollektor überdreht. Bei der alten und der neuen Lichtmaschine hatte der Kollektor einen Höhenschlag von 0,5 bzw. 0,8 mm ab Werk. Außerdem waren beide Russenregler defekt. Erst der Einbau eines deutschen Reglers brachte mir schlagartig Licht - sogar bei Nacht! Bei so einer lauschigen Nachtfahrt starb mir dann auch die Kurbelwelle - sie hatte sich in sich verdreht. Der Motor war exitus - ich habe die Kiste erst einmal auf die Seite gestellt.

In dieser Not beschaffte ich mir das edelste, was Russland je gefertigt hatte - den russischen Nachbau der Vorkriegs-BMW R71, die Molotow M72 von Ural in der Militärversion. Meine neue Liebe war (fast) saharabeige, wegen des Baujahrs waren weder Bremslicht noch Blinker nötig (war ja vorher auch schon alles kaputt gegangen). Eine "echte" Barrasmaschine mit MG-Halter. Ein Gerät wie aus dem Afrikakrieg. Das Gespann stand in einer Tiefgarage. Ich warf den Motor an und fuhr problemlos aus eigener Kraft nach oben ans Tageslicht. Dort starb mir der Motor ab und es sollte einen ganzen Monat dauern, bis der Motor wieder anspringen wollte. Ich mußte ihn bis auf die Grundmauern zerlegen. Die (leichter als bei meinem letzten Russen) in sich verdrehte Kurbelwelle kannte ich ja nun schon, dieses Mißgeschick ist also nicht nur mir widerfahren. Die neue Kurbelwelle nahm ich von den Chinesen und bilde mir mal wieder ein, dass die länger halten wird als die von den Russen. Den Simmerring zwischen Kurbelwelle und Schwungscheibe habe ich inzwischen in einer hitzefesten Ausführung aufgetrieben. Die noch relativ neuen Kolben und Zylinder nahm ich von meinem vorletzten Gespannmotor. Schnell noch eine neue Ölpumpe, weil´s eh egal ist. Die 6-Volt-Gleichstrom-Lichtanlage machte den gleichen Ärger wie vorher bei der M12 (gewiß alles nur Einzelfälle). Anker überdrehen und den schon vorhandenen elektronischen Regler einbauen, seitdem habe ich auch Licht. Als Getriebe habe ich ein chinesisches Getriebe eingebaut. Das soll angeblich wirklich halten. Die Teleskopgabel tropft und die Bremsanlage baue ich nach und nach auf das chinesische System um. Die ist etwas originaler an der alten BMW als der Russenmurks. Sie soll sogar bremsen.

Meine gute Molotow M72 ist seit der Instandsetzung satte 3.000 Kilomer ziemlich pannenarm gelaufen. Inzwischen tropft sie jedoch schon wieder genauso wie ihre modernen russischen Artverwandten. Das Getriebe fängt schon wieder zu jaulen an und der Motor klappert schon mehr als direkt nach der Instandsetzung. Kurzum, der Alterungsprozeß ist das mit Abstand schnellste an der Kiste.

Irgendwie habe ich es im Laufe der Zeit satt bekommen, immer nur zu schrauben und habe mir eine BMW R 100 S gekauft. Das Ding hat zwar 150.000 Kilometer auf dem Buckel - eine Leistung, vor der die Russen nur den Hut ziehen dürfen - aber es fährt, wenn es nicht gerade modifiziert wird. Der vorher erwähnte Werner Gottstein ist ja Gespannbauer, und so habe ich ihn dann ein-gespannt. Von meinem zweiten Gespann mit dem geplatzten Motor habe ich den Beiwagen genommen und das Motorrad für 100 Mark an den Russen-Löw in Passau verklopft. Den Beiwagen hat der Gottstein an die BMW angebruzzelt, und inzwischen habe ich schon den dritten Hinterreifen auf der BMW abgeschruppt.

Ansonsten stecke ich auch in meine BMW jede Menge Zeit und Geld. Aber im Unterschied zu dem Russen mache ich Modifikationen z.B. den Einbau eines Rückwärtsganggetriebes mit viel Ärger, einer Vorderradschwinge und ähnlichen Luxus. Das sind jedoch keine für die Aufrechterhaltung des Fahrbetriebes unbedingt nötige Reparaturen, sondern reine Luxuseinbauten. Für so etwas hatte ich zur Russenzeit gar kein Geld mehr übrig. Inzwischen kann ich auch schon wenigstens Schmunzeln, wenn ich höre, wie es den tapferen Russenfahrern ihre Motoren und Getriebegehäuse bei Kilometerständen um die 10.000 Km zerreißt (ja, so richtig schön mit einem mächtigen Riss im Gehäuse).

Mein saharabeiges letztes Russengespann behalte ich vielleicht noch eine begrenzte Zeit wegen der tollen Optik. Seit ich das Ding nur noch repariere, aber nicht mehr fahre, wird das Gerät auch - mit Rückschlägen - langsam immer besser. Aber eine richtige Tour werde ich mit dem Antichristen nicht mehr fahren.

Zusammenfassung: Die russischen Gespanne sind eine absolute Katastrophe und die chinesischen Gespanne sind nichts anderes als die Nachbauten dieser Katastrophen. Während die Dnepr-Gespanne effektiv nicht fahrbar sind, können gute Kraftfahrzeugspezialisten unter glücklichsten Umständen mit den Ural-Gespannen Laufleistungen von ca. 20.000 Kilometern erzielen, bevor kapitale Eingriffe (z. B. Austausch der Kurbelwelle oder Überholen des Getriebes) nötig sind. Innnerhalb dieser Zeit sind jedoch kleinere Defekte (Kupplung, Lichtmaschine, Benzinhahn, Vergaser, Kolbenfresser, Ventile) üblich. Der Russenanteil an unserem Stammtisch ist inzwischen kaum gestiegen. Dneprs sind Raritäten, eine inzwischen runderneuerte Ural mit ca. 20.000 Kilometern wird von ihrem Besitzer tapfer verteidigt. Rein konstruktiv hat die Ural gegenüber der Dnepr einige Vorteile. Der Preisvorteil der russischen Gespanne (neue "Russen" gibts zwischen DM 5.000,- und DM 10.000,-) ist im Vergleich zu den handgefertigten Qualitätsgespannen (um die DM 40.000,-) natürlich gerade beim Einstieg in die Gespannszene beachtlich. Wer ein guter Schrauber ist, kann es daher mit einer Ural versuchen. Allen ungeübten Schraubern kann ich von den Russen (und Chinesen) jedoch nur eines: Abraten.