Colour der Gespannfahrer Bayern Erste Er-"Fahrungen"
mit Ural


Der folgende Bericht stammt von Michael Rother, der allen Unkenrufen zum Trotz ein Ural-Gespann erworben hat und damit so seine ersten Er-"Fahrungen" gemacht hat. Mittlerweile darf man ihn getrost als "gespann-infiziert" bezeichnen.

Vorab aber noch eine Erklärung. Die Firma Ural stellt Motorräder und Gespanne in verschiedenen Qualitäten her. Dabei handelt es sich aber nicht wie bei anderen Herstellern nur um Ausstattungsvarianten, sondern es gibt echte Qualtitätsunterschiede, und zwar erhebliche.
Dies ist aber auch bei anderen russischen oder asiatischen Herstellern oft der Fall. So ist es nicht nur das fehlende Chrom oder vielleicht der fehlende Drehzahlmesser, der ein sogenanntes "Inlandsmodell" billiger macht gegenüber einem "Exportmodell". Die Inlandsmodelle sind wirklich nur für den russischen Markt oder den Markt der ehemaligen UdSSR bestimmt (und auch früher gewesen). Sie sollten nicht in den "verwöhnten" europäischen Markt exportiert werden.

Böse Zungen behaupten, daß die (halbwegs) vernünftigen Qualitäten exportiert wurden, um Devisen zu erhalten, und der Rest, den andere Firmen aus Deutschland oder Japan aussortiert hätten, weil alle Toleranzen mißachtet wurden, im Lande blieben, frei nach dem Motto:

"Nehmt dies hier, liebe Einwohner, oder garnichts! Was anderes gibt es nicht!"

Daher im nachfolgenden Bericht auch die Unterscheidung zwischen den Inlandsmodellen von Ural und den Exportmodellen, die nicht nur preislich, sondern auch qualitativ große Unterschiede aufweisen.

Und hier nun der versprochene Bericht:



Warum ein Gespann?

Das ist wirklich schwer zu beschreiben. Seit fast einem Jahr hatte ich mir die Zeitschrift Motorrad-Gespanne abonniert. Ich assoziiere Gespanne mit einer kleinen verschworenen (exklusiven?) Gruppe von Bikern, die Individualismus über alles schätzen und ein Faible sowohl für hektikfreies Fahren wie für lange ferne Reisen pflegen. Ich mußte einfach "dazugehören", mußte einfach ein Gespann haben, und hier ging es mir mehr um klassische Werte und Feeling als irgendwelche Leistungsdaten. Den Entscheid für eine Ural habe ich nach monatelangen Überlegungen aus Preisgründen gefällt. Hier bekam ich ein nagelneues Komplettgespann mit Boxer, Kardan, Schwinge,SW-Bremse usw. zur Hälfte dessen, was ein Umbau meiner BIG gekostet hätte. Außerdem ist ein Russenboxer Kult!!!

Heizer vergessen am besten sofort ein Ural-Gespann, relaxt cruisen übers Land ist angesagt. Dabei dem satten Boxerklang lauschen! Schon die prompte Reaktion auf den Kickstarter ist ein Erlebnis.

Gespannfahren ist absolut geil und mit Motorradfahren nur sehr bedingt vergleichbar. Love It Or Hate It!!!

Russenlady Olga mit Reiter


Hinweis für Familienväter: Eure Kids werden sich zur Not darum prügeln, im Beiwagen mitzufahren, das ist DAS Erlebnis.

Qualität? Qualität!

Ein immer wieder gerne zitiertes Thema ist die angeblich mangelnde Qualität der Russenboxer. Hierzu zunächst einmal der Hinweis, daß durch "Grauimporte" leider auch eine Vielzahl von Inlandsmodellen hier in Deutschland erscheinen, die tatsächlich in Material und Verarbeitung deutlich nachlässiger sind und somit den Ruf "versauen". Erschwert wird es durch die Dnepr-Modelle, deren Qualität nach Expertenmeinung schlicht mit gruselig definiert werden muß. Hinzu kommt z.T. eine Käufer-Klientel, für die ein regelmässiger Service durch einen Fachbetrieb ein Fremdwort ist und die dann auftretende Probleme natürlich verbreiten...

Der 99er-Jahrgang der Ural-Exportmodelle weist eine erhebliche Anzahl von Verbesserungen auf, angefangen bei vernünftigen Kerzen und Kerzensteckern über gut funktionierende tschechische Jikov-Vergaser (jetzt mit Distanzschlauch zum Zylinder), verbesserte Elektrik u.a.m. Hinzu kommt eine viel sorgfältigere Verarbeitung der Exportabteilung. Die extrem robuste Mechanik steht ohnehin außer Zweifel! Was jahrelang sibirische Schlaglochpisten ertragen muß, kommt mit westeuropäischen Straßen allemal klar.

Meine eigenen bescheidenen Erfahrungen von 1.500 km (Stand Ende Juli 99) zeigen ein sehr erfreuliches Bild. Lack und Chrom sind angesichts des sehr günstigen Preises wirklich gut, trotz mehrfachen Einsatzes im bayerischen Sommer-Brutalregen 1999. Im Bereich des "hinteren" Teils der Zylinder sind kleine Flugrostflecken auf dem Grauguß zu sehen (nah dran gehen...), sonst nix. Allerdings hatte ich Olga zuvor sorgfältig mit Ballistol / WD 40 an Schrauben und Chrom behandelt. Es gibt kleine Schwitzflecken von Öl auf dem Motor-/Getriebe-Gehäuse. Einige typische und kleinste Einfahr-Problemchen (Bremsen justieren, Gangschaltung justieren, Leerlauf justieren) wurden ratzfatz von IWAN-Bikes behoben. Der Motor klingt sehr sauber, also ohne ungesunde mechanische Geräusche, insgesamt bollert Olga sehr beeindruckend tief und auch laut.

Man darf niemals vergessen, daß trotz aller Verbesserungen die Konstruktion aus dem Jahre 1939 stammt und in Sibirien, nicht in Japan gebaut wird. Wer sich drauf einlassen kann, wird sehr viel Freude an einem Ural-Gespann haben, auch ohne Schrauber zu sein.

Unentschlossenen und Neu-Einsteigern im Großraum München/Ingolstadt kann ich nur einen oder mehrere Besuch(e) bei IWAN-Bikes in Allershausen (siehe Linkseite) empfehlen!!! Bernhard und Dieter haben Verständnis und eine Engelsgeduld für Fragen jeder Art. Und Probefahrten sind auch drin...

Die Probefahrt und die ersten Kilometer...

Auhauerha! Zwar hatte ich monatelang alles über die Physik des Gespannfahrens gelesen, aber nichts widerlegt theoretisches Wissen mehr als die Realität.

Da ich mich selbst gut genug kenne, habe ich eine Probefahrt erst nach dem Kauf (!!!) vereinbart. Sprich, während meine Olga noch in der Werkstatt einer kommenden Zulassung harrte, habe ich mit Dieter von IWAN-Bikes die Probefahrt absolviert. Kurze Einweisung, alles weitestgehend wie bei meinen Solos, nur sehr viel rustikaler. Allein die Schaltwippe machte mir Sorgen, das kannte ich nicht.

Dieter ab in den SW, Motor läuft, also drauf, erster Gang (krach!), gaaaaaanz vorsichtig Kupplung...juchhuuu, ich bewege mich! Oops, das Ding läuft nicht geradeaus, sondern zieht beim Gasgeben nach rechts. Also schön ausgleichen, links am Lenker reißen... Die erste Rechtskurve wird schnittig mit ca. 3-5 km/h angepeilt...aaaaaahhhh, was ist das???? Ich habe das Gefühl, mitsamt dem Gespann nach links umzukippen, Mamaaaaaaaa!!!! Irgendwie funktionierts, wieder 30 m geradeaus, Vorfahrtsstrasse, bremsen...schei**e, wieso bremst das Teil nicht???? Achja, Gespann=Fußbremse, nur nicht schüchtern, kräftig drauftreten... Gummi radiert über den Asphalt, ich stehe, uff!

Linkskurve. Eyh, die geht ja einfach, klasse, ich fahre nur noch Linkskurven. Endlich große Straße, es geht viel geradeaus. Aahh, ich bin der king of the road, bollernd bahnt sich das Gespann mit 30-40 km/h seinen Weg. Aha, so ein Ural-Gespann schlingert quasi hin und her, wenn ich vom Zug- in den Schiebebetrieb wechsele oder umgekehrt... macht dicke Oberarme.

Leichte Kurven, die ich mit meinen Solos praktisch nie wahrnehme, bauen sich zu ernsthaften Herausforderungen auf, das dritte Rad zerrt in den Kurven sehr bemerkbar. Aber immer noch schön schön schön! So geht es ca. 15 km als rollendes Verkehrshindernis durch ländliche Gegenden bei Allershausen und Hohenkammer.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich Rechtskurven nur aus dem Stillstand im ersten Gang unter Aufbietung aller Kräfte am Lenker gemeistert. Wir waren ca. 1 km vor Ende unserer Rundreise am gerade neu in Bau befindlichen Kreisverkehr bei Allershausen, als Dieter im Wind brüllte: "Die nächste Kurve mal bitte im zweiten Gang". Nunja, Kreisverkehr ist eigentlich nicht so schwierig wie eine im 90°-Winkel abzweigende Strasse, warum also nicht??? Also todesmutig angepeilt mit vielleicht 15-20 km/h und jetzt muß es nach rechts .... SCHEI**E!!! Sie fährt geradeaus!!! Was passiert da? Die Erklärung: Ich verlagerte nicht genug mein Gewicht zum Beiwagen und machte instinktiv den berühmten Anfängerfehler eines Solofahrers, nämlich bremsen, jedoch nicht konsequent am rechten Lenkerteil zu zerren. Ergo fuhr der Russenboxer stur geradeaus, segelte quer über die Großbaustelle haarscharf an einem großen tiefen Loch vorbei, passierte die Gegenfahrbahn (deren Verkehr das Unglück in Form meiner Wenigkeit rechtzeitig erkannte und bis zum Stillstand bremste...) an der wir uns befanden, nahm ungerührt mit einem wilden Satz einen ca. 15 cm hohen Bordstein, um anschließend eine Böschung runter in Richtung Acker zu landen.

ADRENALIN!!! Dieter nahms locker. "Laß mich mal", draufgesetzt, Rückwärtsgang rein und bewies, wozu ein SW-Antrieb im Acker gut sein kann. Mitleidlos wurde ich von Dieter wieder auf den Fahrersitz zitiert und es ging weiter. Hach, die letzten 300 Meter, noch einmal rechts ab, dann...SCHEI**E!!! Wieder geradeaus, aaaahhhh, wo ist die Bremse, Mamaaaaa, der Zaun, der Zaun!!! KRACH!!! Der Zaun. fakinsiäss!!! Das war dann schon 50 Meter vor der Toreinfahrt zu Iwan-Bikes, also Rückwärtsgang (jetzt konnte ich das schon selber...) und dann weiter.

Abstellen! Zittrige Knie! Fix & Foxi! Cool bleiben, nix anmerken lassen! (Bernhard & Dieter haben mein sicherlich kreidebleiches Gesicht gnädigerweise unkommentiert gelassen). Oje, was habe ich da gemacht, warum habe ich mir nur das Gespann bestellt? War ich irre???

Dieter praktizierte Motivation und meinte, ich wäre gar nicht schlecht gewesen, gab mir noch ein paar Tips und dann durfte ich im Hof nochmals 8er-Fahren üben. Außerdem wies er ganz begeistert auf die robusten Nehmerqualitäten des Russenboxers hin: "Guck mal, Bordstein, Acker, Zaun und nix kaputt!"

Die folgende Nacht schlief ich trotzdem sehr sehr schlecht...

Eine knappe Woche später überführte ich Olga in ihr neues Zuhause. Für die 20 km Heimfahrt benötigte ich rd. 80 Minuten und eine Menge Angstschweiß bei den Rechtskuven (Erinnerungen prägen halt...). An dem Überführungstag bin ich auch nicht mehr gefahren.

In den vier Folgewochen habe ich mein eigenes Rezept der ersten Solomaschine einfach wiederholt: Fahren fahren fahren, nicht hetzen lassen, einfach das Fahrverhalten kennenlernen, sich Stück um Stück vortasten...

Auch jetzt bin ich mit gerade 1.500 km nicht unbedingt der erfahrene Gespannfahrer, aber mittlerweile bewege ich Olga recht flott auch in Rechtskurven, jedoch nicht übermütig.

Meine Quintessenz: Beim Testen des Gespannfahrens NICHT aufgeben. Ich dachte erst, daß ich das NIE lerne, und es geht doch schneller als man glaubt.