Colour der Gespannfahrer Bayern MZ-Ratgeber


Nachfolgende Passagen sind aus dem "Ratgeber MZ", transpress Verlag Berlin 1990. Was die Führerscheinbestimmungen oder andere gesetzliche Bestimmungen angeht, so handelt es sich um damals in der DDR geltendes Recht. Heute sieht die Situation erheblich anders aus in dieser Hinsicht. Dennoch wollen wir Auszüge aus diesem Ratgeber hier veröffentlichen, da zumindest die Grundzüge bei den Problemen des Gespannfahrens hier verständlich beschrieben werden.



Gespannfahren

Der Führerschein der Klasse A - also für Motorräder aller Hubräume - berechtigt zwar auch, ein Gespann zu fahren, doch selbst wer jahrelang auf Solomaschinen fuhr und hierauf versierter Fahrer wurde, ist noch längst kein Gespannfahrer; eine Maschine mit Seitenwagen macht ihn wieder zum Anfänger. Er ist eigentlich sogar schlechter dran als ein völliger Motorrad-Neuling, weil längere Solopraxis Gewohnheiten ausgeprägt hat, die beim Umsteigen auf ein Gespann zum Handicap werden. Bietet also jemand sein MZ-Gespann zu einer Probefahrt an, dann lehne man besser ab, wenn es nicht möglich ist, die Gespannbekanntschaft auf einem stillen Platz (ohne Gegenverkehr und Bordsteinkanten) zu machen.

Ein Gespann - auch das von MZ - fährt sich völlig anders als eine Solomaschine. Wer das nicht glaubt, kippt womöglich schon in der ersten Rechtskurve um. 10.000 km müssen wohl erst absolviert werden, ehe man die drei Räder wirklich einwandfrei beherrscht. Daran ändert selbst die längste Solopraxis nichts. Ehemalige Solofahrer sind anfangs bestrebt, vor allem jede Gefahrensituation mit Soloerfahrungen zu meistern, und das geht beim Gespann garantiert schief!

Kurvenfahrt

Das MZ-Gespann ist ein asymmetrisches Fahrzeug. Da nur das Hinterrad der Maschine angetrieben wird, das Seitenwagenrad zwar abgebremst werden kann, sonst jedoch nur auf der rechten Maschinenseite mitläuft, erfordert Gespannfahren eine spezielle Kurventechnik (Bild 1).

Kurvenfahrt Bild 1
MZ-TS-Gespann in einer Rechtskurve.
Fahrer und Seitenwagenpassagier
demonstrieren die richtige Körperhaltung


Linkskurven:

Logischerweise schiebt die Masse des Superelastik-Seitenwagens (leer schon 85 kg, voll beladen 200 kg) das Gespann nach links, wenn das Gas plötzlich weggenommen wird. Der seitliche Schub muß mit dem Lenker ausgeglichen werden, sonst würde sich das Gespann dem linken Straßenrand nähern. Diese Eigenheit des Gespanns mit rechts angeschlossenem Seitenwagen kommt dem Fahrer bei Linkskurven entgegen. Am Kurvenbeginn braucht er nur das Gas wegzunehmen und den Lenker entsprechend dem Kurvenverlauf mehr oder weniger stark einzuschlagen. Der massenträge Seitenwagen versucht dann, gewissermaßen um die MZ herumzulaufen. Mit Linkskurven wird der MZ-Gespann-Neuling also geringeren Kummer haben.

Bodenberührung:

Nachdem man mehrfach mit Schwung Linkskurven genommen hat, ohne daß es hierbei irgendwie brenzlig geworden wäre (vielleicht schob es nur die Maschinenräder etwas zur Seite), kommt der Moment, wo man ganz mutig wird. Beim Versuch, aus scharfer Anfahrt heraus das Gespann auf der Stelle nach links zu wenden, steckt der Superelastik-Seitenwagen seine Nase in den Sand; es gibt Bodenberührung an der Spitze des Seitenwagens. So etwas hinterläßt zumindest Kratzer, im ungünstigsten Falle - aber da muß man schon enormes Tempo beim Wenden vorlegen oder vor Angst (völlig falsch!) bremsen - kommt es zu einem Überschlag. Bei solchen brutal kurzen Wendemanövern hebt das Hinterrad der Maschine vom Boden ab. Man läßt es besser nicht darauf ankommen. Und wenn es schon geschieht, dann rettet kurzes, betontes Gegenlenken. Schaden kann es aber nicht, auf einem freien Platz, möglichst mit Grasnarbe (wegen eventueller Bodenkontakte des Seitenwagens), diese Grenzbereiche auszuloten oder zumindest zu erahnen. Gespannfahrer müssen wissen, wann was passiert! Da helfen nicht allein theoretische Informationen, viel wertvoller sind eigene praktische Erfahrungen.

Rechtskurven:

Beim Durchfahren von Rechtskurven muß die Maschine um den Seitenwagen herumlaufen. Das geht glatt, wenn die Kurve nur mit soviel Geschwindigkeit angefahren wird, daß in der Kurve selbst noch Gas gegeben werden kann. Diese zunehmende Beschleunigung der Maschine und der durch seine Massenträgheit zurückbleibende Superelastik-Seitenwagen unterstützen den Lenkereinschlag. Dabei hat das Seitenwagenrad jedoch das Bestreben, vom Boden abzuheben; denn auch beim dreirädrigen Gespann wirken Fliehkräfte, wenn es plötzlich in eine Kurve gezwungen wird (Bild 2).

Bild 2
Erste Bekanntschaft mit den
Eigenheiten des Gespanns läßt sich
am besten auf einem freien Platz
schließen. Rechts herum sieht´s
dann nämlich sehr wahrscheinlich
oft so aus ....
Seitenwagen hoch!


Hochkommender Seitenwagen:

Ein hochkommender Seitenwagen erschreckt den Fahrer, wenn er aufgrund mangelhafter Fahrpraxis nicht damit rechnet. Aber gerade hierbei gilt es - um Schlimmeres zu verhüten -, richtig zu reagieren. Sind zum Gegenlenken keine Voraussetzungen da (enge Kurve, Gegenverkehr usw.), hilft nur kräftiges Beschleunigen (herunterschalten) und weitgehende Verlagerung des Körpergewichts in Richtung Seitenwagen. Konkret kann das bedeuten, daß man mit dem Allerwertesten in engen, schnell angefahrenen Rechtskurven sehr weit nach rechts rutschen muß. Sitzbankkontakt hat dann eventuell nur noch der linke Oberschenkel.
Dazu gehört, daß man sich mit dem rechten Knie nicht am Tank festklemmt, auch wenn die Fliehkräfte veranlassen können, dort mit dem Knie Halt zu suchen. Dadurch nähme die Kippgefahr des Gespanns nur noch zu. Gewichtsverlagerung und Schenkeldruck müssen allein in Richtung Seitenwagen gehen. Und diese spezielle Kurvenhaltung - das sei noch einmal ganz dick unterstrichen - nimmt man nicht erst ein, wenn das Gespann schon anfängt zu kippen, sondern stets vor der Kurve! Es ist eine Angelegenheit der Gespannerfahrung, vorher richtig einschätzen zu können, was eine Kurve an Tempo verträgt bzw. mit welcher Fahrerhaltung sie sich sicher bewältigen läßt. Das muß man lernen. Um diese Lehrzeit kommt niemand herum.
Noch einmal betont sei: Zuflucht im Bremsen zu suchen, wenn´s brenzlig zu werden scheint, ist grundfalsch. Das Bremsen könnte das schon spürbare Kippmoment nur noch verstärken. Statt dessen sollte man sich augenblicklich an Schwerpunktverlagerung und Zugkraftreserven erinnen.
Wird ein vielleicht nur durch die unebene Fahrbahn abhebendes Seitenwagenrad angebremst (Schreckreaktion!), um dann blockiert wieder auf die Fahrbahn aufzusetzen, kann es das ganze Gespann verreißen. Das verschlimmert die Situation noch.

Anfängerfehler:

Wer anfängt, so heißt es, muß Lehrgeld zahlen. Wir wollen das den Gespann-Neulingen ersparen. Deshalb unser Rat: Man fährt auf drei Rädern zuerst ohne Seitenwagenpassagier, dafür aber mit einem Sandsack oder ähnlichem Ballast im Seitenwagen (50 kg sollten´s schon sein). Am besten ist es, wenn man den Ballast auf dem Sitz verstaut, um die künftigen Verhältnisse mit Seitenwagenpassagier zu imitieren. Im Kofferraum hätte beispielsweise auch noch ein 20-l-Kanister Platz.
Leichtsinniger noch als mit leerem Seitenwagen zu fahren ist die Mitnahme eines Passagiers auf dem Sozius der Maschine bei unbesetztem "Boot". Die hierbei gegebenenfalls auftretenden Kippmomente sind nur schwer zu beherrschen.
Beim Umsteigen von einem anderen Gespann auf ein MZ-Gespann ist die Versuchung groß, von Kilometer zu Kilometer schneller zu fahren. Die in der Tat hervorragend aufeinander abgestimmten Fahrwerke von Maschine und Seitenwagen mit den großen Federwegen lassen leicht alle Fahrbahnmängel vergessen. Und in den Kurven fehlt die sonst übliche starke Neigung nach der einen oder anderen Seite, weil die Schwingen von Hinterrad und Seitenwagenrad miteinander durch einen Querstabilisator verbunden sind, der sozusagen beide Schwingen synchronisiert. Schnell entsteht der Eindruck, daß man ja garnicht viel Tempo hat. Und doch ist das der Fall. Man bewegt das MZ-Gespann besser zunächst langsam und fährt erst dann schneller. Übrigens fährt man nie mit Soziusbelastung, ohne die Federbeine hinten auf "hart" umgestellt zu haben. Die Straßenlage des Gespanns verschlechtert sich sonst beträchtlich.

Seitenwagenbremse

Neigt das Gespann beim Bremsen plötzlich zum Ausbrechen nach links, so sollte man die Bremsanlagen von Seitenwagen und Maschine durch Einstellen besser aufeinander abstimmen. Man versucht erst, die Flügelmutter am Bremsgestänge für die Hinterradbremse der Maschine um ein, zwei Windungen herauszudrehen. Dadurch spricht die Hinterradbremse später und die Seitenwagenbremse vergleichsweise früher an. Das hilft meist schon. Setzt die Seitenwagenbremse dagegen zu früh ein, zieht das Gespann beim Bremsen in Richtung rechte Fahrbahnkante. Man reguliert das an der Hinterradbremse der Maschine, die generell etwas früher einsetzen soll (Flügelmutter nach rechts drehen). Ausschlaggebend ist immer die Belastung des Gespanns. Grundsätzlich muß es selbst bei einer Notbremsung in der Spur bleiben. Es empfiehlt sich darum auch, vor Antritt der Fahrt eine Bremsprobe mit der kompletten Startmasse des Gespanns - einschließlich Mitfahrer - zu machen, um die Bremse richtig einstellen zu können. Hierbei achtet man auch darauf, daß der Fußbremshebel der Maschine bei einer Vollbremsung nicht zu weit nach unten getreten werden muß. Ein abgeknicktes Fußgelenk läßt keine Feinfühligkeit, kein Dosieren der Bremskraft zu. Die Stellung des Fußbremshebels wird deshalb korrigiert. Die verstellbare Druckstange am Seitenwagen-Radbremszylinder läßt eine Grobabstimmung zwischen Maschinen- und Seitenwagenbremse zu. Die Feinabstimmung (Beladezustand) erfolgt per Flügelmutter am Bremsgestänge der Maschine!